Transcontinental Race 2023 TCRNo9

Transcontinental Race 2023 TCRNo9

Vorgeschichte

Ich glaube, für jeden Bikepacking Enthusiasten ist das Transcontinental Race DAS Radsport Event, bei dem man einfach mal gestartet sein muss – und nach Möglichkeit auch gefinisht haben sollte.
So erging es auch mir. Ich wollte unbedingt dort starten und bewarb mich um einen Startplatz. So einfach ist es dort eben nicht – von wegen Anmeldung ausfüllen, Geld überweisen und Startnummer zugwiesen bekommen.
Zuerst muss man sich mal registrieren, dann die Ausschreibung herunterladen (nachdem man dafür erstmal gezahlt hat) und dann bewerben. Zur Bewerbung gehört auch, dass man einen umfangreichen Fragenkatalog beantworten muss. Die Fragen sind zum einen nachvollziehbar (hat man schon an ähnlichen Events teilgenommen, wie schätzt du deine Chancen ein, zu finishen), zum Teil aber auch absurd „Was steht in der Wiener Konvention von 19xx zum Fahrradverkehr – nenne einen der vier Paragraphen“.
Weiß nicht mehr den genauen Wortlaut der Frage, stand dort aber so ähnlich. Ich habe gelernt, dass ein Fahrrad eine Bremse haben muss und nachts ein Licht – die anderen Dinge habe ich wieder vergessen.
Nachdem man also diesen mehrseitigen Fragenkatalog ausgefüllt und abgegeschickt hat, beginnt das bange Warten, ob man einen Startplatz bekommt.

Ich weiß nicht, ob ich alle Fragen so beantwortet habe, wie sie es sich vorgestellt hatten, oder ob ich vielleicht eine Altersquote erfüllt hatte (man legt dort wert auf ein divers aufgestelltes TeilnehmerInnenfeld), jedenfalls bekam ich nach einer Weile die Mitteilung, dass ich einen Startplatz sicher habe – sofern ich ihn will und gewillt bin, das Geld zu zahlen (was ich natürlich war).

Streckenplanung

Von nun an war das meine Hauptbeschäftigung. Es gibt vom Veranstalter eine Karte mit den verbotenen Straßen (zu viel Verkehr, zu gefährlich), die es bei der Routenwahl zu berücksichtigen gilt.
Also die Routenplanungstools bemüht und zugesehen, dass man eine möglichst optimale Route findet. In meinem Fall waren das Komoot und BRouter. Komoot hat den Vorteil, dass man den Startpunkt irgendwo setzen kann und den Zielpunkt in 10.000 km Entfernung und das Programm spuckt dir innerhalb von Sekunden eine Strecke raus. Bei BRouter gibt es schon Schwierigkeiten, wenn Start und Ziel 500 km auseinander liegen. Nachteil Komoot: wenn das Programm meint, dass eine Strasse zu stark befahren sein könnte (mehr als fünf Autos pro Stunde vermute ich), schickt es dich gerne mal über eine Nebenstrecke, die aber auch gerne zwischendrin mal aus Kies besteht oder eine 18% Steigung aufweist – von zusätzlichen Kilometern mal ganz abgesehen.
Vorteil BRouter: du kannst mittels verschiedener Stellschrauben angeben, wie stark du z.B. am Berg bist, so dass unnötige Höhenmeter vermieden werden. Nur: du musst ungefähr wissen, wo du langfährst, weil du die einzelnen Punkte nicht so weit voneinander entfernt setzen darfst.
Es war also kompliziert.

Als ich dann endlich so weit war, dass ich eine Strecke gefunden hatte, habe ich sie nochmal mit Google Streetview verifiziert. Dieses Vorgehen hat sich schon allein deshalb bewährt, weil ich so die ganzen kleinen Gemeinheiten von Komoot aufdecken konnte und entsprechend umgeplant habe.
Google Streetview hat mir auch dabei geholfen, eine Gefahrenstelle etwa 50 km nach dem Start zu identifizieren, wo die Straße in schlechtem Zustand war und von links kommend alte Gleise in die Mitte der Straße führten.
Beim Rennen sind zwei Mitfahrer an der Stelle gestürzt und kamen mit gebrochenem Schlüsselbein ins Krankenhaus.
Ein weiterer Vorteil war, dass ich vorher wusste, wo ich Verpflegung bekomme oder wo ich ein Fahrradgeschäft finden würde, falls etwas kaputt geht.
Aber das alles war sehr sehr aufwändig.

Anreise

Der Start des Rennens erfolgte in Geraardsbergen in der Nähe von Brüssel. Von Frankfurt geht ein ICE direkt bis Brüssel, der auch noch so früh am Tag fuhr, dass ich am gleichen Tag anreisen kann. So sparte ich mir eine Übernachtung vor Ort. Nur leider hat dieser ICE kein Fahrradabteil – im Ganzen konnte ich mein Rad also nicht mitnehmen. Da es bei der DB aber keine Begrenzung für die Größe deines Gepäckstückes gibt, kann man das Fahrrad auch in einer Fahrradtasche mitnehmen (theoretisch). Das hieße, Räder raus und Lenker abmachen – dann alles in die Tasche und die irgendwo verstauen.
Also erwarb ich sehr früh (und sehr günstig) ein Zugticket nach Brüssel. Zur Sicherheit löste ich ein 1. Klasse Ticket – das war nur 15€ teurer und ich hoffte darauf, dass die Bahn niemanden aus der ersten Klasse rausschmeißt.
Je näher der Termin kam, desto mulmiger wurde mir jedoch bei dem Gedanken, die Anreise auf den gleichen Tag wie den Start des Rennens gelegt zu haben. Was, wenn sie mich doch rausschmeißen. Was ist dann mein Plan B? Würde ich noch irgendwie rechtzeitig zur obligatorischen Wettkampfbesprechung kommen?
Die letzten Tage vor der Abfahrt habe ich schlecht geschlafen 🙁

Der Tag X – Anreise und die Stunden vor dem Start

Ich bin – mal wieder – lange vor dem Wecker wach und bin ziemlich aufgeregt.
Alles umsonst wie sich zeigte. Hinter meinem Sitz war ein ausreichend großer Platz, um mein Fahrrad zu verstauen und die Kontrolleurin hat sich auch nicht dafür interessiert was in der großen Tasche sein könnte. Meine Hoffnung, im Zug noch etwas zu schlafen, hat sich leider nicht erfüllt. Erst war ich immer noch zu aufgeregt, später hat mich das Geschaukel wach gehalten.
Was mir noch auffiel: am Bahnhof Frankfurt Flughafen stand ein Engländer? mit seinem Rennrad, beladen mit Bikepacking Taschen und diskutierte mit der Zugbegleiterin, die ihn aber nicht mitfahren ließ.
Ob der beim TCR mitfahren will? Aber wenn, dann hätte er sich doch bestimmt vorher schlau gemacht, dass die Bahn Räder nur zerlegt oder im Radabteil mitnimmt, oder?

In Brüssel angekommen, treffe ich auf zahlreiche andere Teilnehmer, die ihre Räder auch entweder in Taschen oder als Ganzes dabei haben. Wir alle fahren mit der Regionalbahn weiter Richtung Geraardsbergen. Dort angekommen, wird das Rad wieder halbwegs zusammengebaut und ich fahre mit Jakob aus Berlin und Kevin aus Frankfurt Richtung Jugendzentrum, wo der Rad-Check und die WK-Besprechung sind.
Beim Rad-Check wird bemängelt, dass ich keinen separaten Reflektor hinten habe. Mein Rücklicht hat zwar einen Reflektor und auch sonst habe ich relativ viele reflektierende Sticker an meinem Rahmen, aber das wollte der Typ nicht akzeptieren. Auf meine Frage, wo ich denn am Sonntag noch einen Reflektor hernehmen solle, meinte er, das sei mein Problem aber er würde mir gestatten, so bis zum Checkpoint 1 zu fahren. Dort würde das erneut kontrolliert werden und wenn ich bis dahin keinen Reflektor habe, ist die Reise dort erstmal für mich zu Ende 🙁
Nach dieser frustrierenden Prozedur war noch Zeit bis zur WK-Besprechung und ich fuhr mit Jakob zusammen auf die Muur von Geraardsbergen. Dort traf ich auf einen Österreicher, der ungefähr in meinem Alter war und sich schon fünf oder sechsmal erfolglos auf einen Startplatz beworben hatte. Dieses Jahr hat es endlich geklappt. Hatte ich meinen Startplatz vielleicht doch nicht aufgrund meines Alters bekommen?
Als ich zur WK-Besprechung wieder im Jugendzentrum war, stand da auch der Engländer vom Frankfurter Bahnhof. Er fuhr also wirklich mit und hat es noch irgendwie geschafft, dorthin zu kommen. Was für ein Stress. Rad-Check war zwar eigentlich schon vorbei, aber sie haben ihn trotzdem noch mitgenommen – wie nett.
Dass es auch anders geht, haben alle gemerkt, als die WK-Besprechung vorbei war. Draußen schüttet es wirklich aus Kübeln, so dass man innerhalb kürzester Zeit durchnässt ist, aber die Veranstalter sind gnadenlos und schmeißen uns alle raus. Wo sie vorher noch einen auf große Community gemacht haben und uns eindringlich gebeten haben, nicht bei Rot über Ampeln zu fahren, weil das unfair gegenüber denen sei, die sich an die Verkehrsregeln halten, war es jetzt mit der großen Gemeinsamkeit vorbei und wir konnten sehen wo wir bleiben.
So haben Jakob und ich uns irgendwo verschanzt, bis der stärkste Regen nachließ und sind dann in eine Kneipe gefahren, wo wir trocken waren und noch was essen konnten.
In der Zwischenzeit hatte sich auch meine Schwester gemeldet, die gerade in Holland Kurzurlaub machte. Ob ich was dagegen hätte, wenn sie vorbeikommt, um beim Start dabei sein zu können und ob sie noch was mitbringen soll.
Natürlich hatte ich nichts dagegen und wenn sie schon fragt: Vielleicht kann sie irgendwo einen Reflektor auftreiben?
Hat sie tatsächlich geschafft – nur passte der nicht ans Rad. Die Klemme war für die Sattelstütze vorgesehen, da hing aber schon meine Arschrakete. für die Sitzstreben war die Klemme zu weit und auch wenn ich die mit einem Stück Schlauch umwickelte, war klar, dass das keine fünf Kilometer hält. Also hab ich das Ding eingepackt um mir unterwegs was auszudenken. Zur Not würde ich den Reflektor kurz vor CP1 notdürftig ans Rad basteln. Muss ja nur für einen Kontrollblick reichen.
Um etwa halb zehn verließen wir die Kneipe, um zum Start zu fahren und genau in dem Moment hörte es auch auf zu regnen 🙂

Der Start

Um 22 Uhr gehts los auf dem großen Marktplatz. Dort habe ich auch Jakob vorerst zum letzten Mal gesehen – denn auf einmal war er weg. Zunächst fährt man eine Runde durch die Stadt, kommt dann nochmal am Marktplatz vorbei und dann gehts hoch zur Muur, gesäumt von ZuschauerInnen, die alle Fackeln in den Händen halten. Das ist schon ein tolles Erlebnis. Nicht so schön war, dass die Straße hoch zur Muur aus Kopfsteinpflaster besteht und das war noch feucht und dementsprechend rutschig. Also war schieben angesagt. Dann ging es auf die Reise. Eine lange Schlange rot leuchtender oder blinkender Rücklichter vor mir. Das Tempo war ziemlich hoch – mal wurde Windschatten gefahren, mal nicht und das Feld zog sich ziemlich in die Länge. Erst nach ca. 60-70 km entzerrte sich das Feld etwas mehr, weil dann nicht mehr alle die gleiche Strecke fuhren. Irgendwann war ich dann allein unterwegs.
Ich hatte ein paar Wochen vorher noch etwas Geld in die Supernova M99DY investiert, die ich am Nabendynamo betreibe. Das war vielleicht meine beste Investition ever. Das Licht streut relativ breit und vor allem weit, wenn man das Fernlicht aktiviert. Sonst bin ich ja in der Nacht eher ein wenig ängstlich unterwegs, mit dieser Lampe definitiv nicht mehr.
Nach mehreren Stunden entschied ich mich endlich, die Regensachen auszupellen, nur um sie wenig später wieder anzuziehen. So ging es eigentlich die nächsten Kilometer weiter. Mal regnete es, mal nicht und es war nicht so ganz klar, ob das jetzt nur ein kurzer Schauer ist, oder doch was Ernsthaftes.
Die erste ernst zu nehmende Pause habe ich dann nach ca. 400 km gemacht. Das hängt auch damit zusammen, dass mein Radcomputer nur Streckenlängen von max. 400 km routen kann. Man kann zwar längere Tracks draufladen, aber dann kündigt er die Abbiegungen nicht mehr vorher an. Erst wenn man nicht mehr auf dem Track ist, gibt es einen Warnton. Also hatte ich die gesamte Strecke in Teilabschnitte á 400 km unterteilt und musste dann immer den jeweils nächsten Track laden.
Nach eben diesen ersten 400 km habe ich mich kurz auf eine Bank gelegt und kurz die Augen geschlossen. Das Weiterfahren fiel mir dann zwar etwas schwer, aber nach ein paar Kilometern ging es mir schon wieder recht gut.
Etwas nervig wurde es kurze Zeit später, als ich meinen ersten Platten am Hinterrad hatte. Hab den Schlauch geflickt, den Mantel abgesucht, den Dorn entfernt und bin weiter. 50 km später ist das Hinterrad erneut platt. Also wieder Schlauch geflickt und weiter. Nächster Platten nach ca. 5 km. Bin total genervt und entscheide, den fast neuen Mantel der örtlichen Müllabfuhr zu übergeben. Ich hatte noch einen gebrauchten Mantel zur Sicherheit dabei, den ich jetzt aufgezogen hab. Der hat gehalten.
Was ich bei dieser Aktion schade fand, ist die strikte Vorgabe vom Veranstalter, dass man niemandem helfen darf. Nicht, dass ich beim Reifen flicken Hilfe gebraucht hätte, aber alle anderen sind kommentarlos an mir vorbei. Als Helfender wird man verpflichtet, dem anderen die Stempelkarte abzunehmen, wenn dieser fremde Hilfe annimmt. Wie geschrieben – ich brauchte keine Hilfe. Ich finde es aber trotzdem nicht schön, dass es unter den TeilnehmerInnen keine Atmosphäre des aufeinander Aufpassens geben darf.
Durch die ganzen Pannen ist dann mein Zeitplan etwas durcheinander geraten, so dass ich kein Hotel mehr gefunden habe, das jetzt noch auf hatte.
Also habe ich nach einer anderen Möglichkeit gesucht. Erst am Bahnhof ein Wartehäuschen. Dort hat es aber so sehr nach Pisse gestunken, dass ich sofort weiter bin. Im nächsten Ort habe ich dann einen Platz auf einer Empore gefunden. Die war sichtgeschützt, überdacht und eigentlich ganz OK. Isomatte hatte ich keine dabei, also hab ich mich auf den Betonboden gelegt. Nach 541 km am Stück – so weit bin ich noch nie zuvor am Stück gefahren (meinen Powernap zähle ich mal nicht).

Zweiter Tag

Nach knapp vier Stunden wache ich auf, weil irgendein lautes Auto mit Vollgas vorbei fährt. Schlafen kann ich jetzt vermutlich auch nicht mehr, also fahre ich weiter. Es ist vier Uhr und ich bin erstmal weitestgehend allein auf den Straßen. Ich überquere den Rhein nach Deutschland, kurz danach komme ich in die Schweiz. Hier mache ich seit langem mal wieder Bekanntschaft mit schweizer Autofahrern und ich muss feststellen, dass Rücksichtnahme gegenüber Radfahrern nicht zu ihren Stärken gehört. Mir ist eine Situation noch in Erinnerung, als ein Autofahrer bei einer leichten Abfahrt neben mir fährt, langsamer wird, weil in der Mitte der Straße eine Verkehrsinsel kommt und anstatt, dass er vorfährt, oder sich zurückfallen lässt, einfach immer weiter nach rechts fährt, da wo ich fahre. Bevor ich den Abflug in die Botanik mache, mache ich eine Vollbremsung. 🙁

Um zum Start des ersten Parcours zu kommen, muss man idealerweise über den St. Gotthard Pass und das bedeutet, dass man über die Axenstraße am Vierwaldstätter See fahren müsste. Diese ist uns aber vom Veranstalter bis zur Höhe von Sisikon verboten worden, weil zu viel Verkehr und kein Radweg. Es gibt zwar einen Fußweg, aber den dürfen wir nicht nehmen (auch nicht schiebend). Also musste eine Umleitung her. Manche sind auf der linken Seite des Sees gefahren, wo man dann irgendwo ewig lang Treppen hätte latschen müssen, ich entschied mich dafür, auf der rechten Seite zu bleiben, dort den Berg hoch und dann über Gravelpassagen nach Sisikon runter. Das klappte so mittelmäßig gut und hat mich ganz schön Körner gekostet. Aber das war nix gegen den Aufstieg zum Gotthard.
Der Tunnel war gesperrt und der ganze Verkehr fuhr über den Pass. Nach zahlreichen Nahtod-Erfahrungen habe ich mich dann entschlossen, auf der alten Passstraße weiter zu fahren, auch wenn das bedeutete, Kopfsteinpflaster fahren zu müssen. Dazu gesellte sich Regen 🙁
Reichlich fertig kam ich auf der Passhöhe an, machte das obligatorische Selfie und fuhr auf der anderen Seite frierend wieder runter.
Als ich wieder in etwas wärmere Gefilde kam, entschied ich mich, die Regensachen wieder auszuziehen. Dafür entschieden sich mein GPS Tacho und mein Telefon, nicht mehr weiter zu wollen. Das Telefon meinte, bei etwa 10% Restakku, dass Wasser in der Ladebuchse sei und es deshalb nicht mehr geladen werden könne, mein Tacho Marke Hammerhead zeigte abwechselnd einen schwaren Hintergrund und das Hammerhead – Logo. Dies ließ sich auch nicht durch das Drücken verschiedener Tasten ändern. Erst als ich die linke und rechte Taste gleichzeitig für ein paar Sekunden drückte, war der Spuk vorbei. Dafür präsentierte er sich nach dem erneuten Einschalten frisch auf Werkseinstellungen zurückgestellt. Also keine Karten mehr drauf, von gespeicherten Strecken nix zu sehen und die gemachten Touren auch weg – auch die heutige. Es gibt also keinen (aufgezeichneten) Beweis, dass ich überhaupt über den Gotthard gefahren bin – wenn man vom Tracking des Veranstalters mal absieht.
Mir blieb nur noch, mich nach einer Unterkunft umzusehen, denn navigieren konnte ich ja nicht mehr.
Die war auch recht schnell gefunden, nur gab es da ein Problem: ich durfte mein Rad nicht mit aufs Zimmer nehmen, sondern könne es in die Garage stellen. Auf meine Frage, ob ich da denn gegen fünf Uhr morgens wieder ran komme, wurde mir das verneint. Es wäre erst jemand um acht da. Ich könne es aber auf die Terrasse stellen, da würde schon nix wegkommen…
Mir war etwas unwohl dabei, denn als Schloss hatte ich lediglich so ein Pocketschloss mit einer etwas dickeren Schlinge dabei, das eher taugt, um mal kurz irgendwo beim Bäcker reinzugehen. Das Seil kann man aber mit einem etwas besseren Nagelknipser locker durchtrennen.
Ich war aber einfach zu KO, um mich nach was anderem umzusehen und so biss ich in den sauren Apfel.

Dritter Tag

Früh am Morgen – also so gegen drei Uhr bin ich aufgewacht – von was auch immer – und sofort war mein Gedanke, dass hoffentlich das Rad nicht weg ist. Mir war klar, dass ich nicht wieder einschlafen werde und so habe ich meine Sachen zusammengepackt. Telefon und Radcomputer waren geladen, wobei der Computer sich nach wie vor weigerte, irgendeine Art Synchronisation mit dem Telefon vorzunehmen.
Unten musste ich erleichtert feststellen, dass das Rad noch da war. Also alles ans Rad angebaut und Komoot auf dem Telefon zur Navigation genutzt.
Ich muss feststellen, wer Komoot zur Navigation nutzt, muss schon sehr verzweifelt sein. Damit ich nicht die ganze Nacht vom Display geblendet werde und der Akku möglichst lange hält, habe ich die Sprachansage aktiviert und das Display ausgemacht. Die Dame ist SEHR mitteilungsbedürftig. An jedem Feldweg hat sie mir Bescheid gegeben, dass ich da jetzt nicht abbiegen möge, sondern weiter geradeaus fahren soll.

WARUM ZUR HÖLLE, SOLLTE ICH IN EINEN VERKA….. FELDWEG ABBIEGEN WOLLEN????

Nach einer halben Stunde war ich so genervt, dass ich einen erneuten Versuch mit meinem Radcomputer gewagt habe und…. es hat funktioniert 🙂
Er hat zwar nicht alle Karten und alle Strecken runtergeladen, weil ratzfatz mein Datenvolumen aufgebraucht war, aber wenigstens hatte er die aktuelle Karte und die aktuelle Strecke drauf. Also Komoot aus und weiter mit Hammerhead. 🙂
Dann kam endlich der erste Parcours über den St. Bernadino Pass von Roveredo kommend. Im Dunkeln gestartet, kam irgendwann die Sonne raus. Unterwegs bin ich von einigen stärkeren Teilnehmern und auch Teilnehmerinnen überholt worden, was mir aber letztlich egal war. Ich war fast stehend KO und nachdem ich auf der Abfahrt im letzten Stück auf einmal Wollknäuel mit Zähnen neben mir die Straße runterrollen sah, musste ich mir ein Bushäuschen suchen, um eine Runde zu schlafen. So äußern sich also Halluzinationen durch Schlafentzug.
Es war jetzt Mittwochvormittag und seit Sonntagmorgens um fünf Uhr hatte ich vielleicht acht Stunden geschlafen.
Nachdem ich ausgeschlafen hatte (keine Ahnung, wie lange) bin ich weiter Richtung Splügen. Von hier ging der Parcours weiter über den Splügenpass. Ich muss sagen, dass ich zu dem Zeitpunkt total fertig war und eigentlich keinen Bock mehr hatte.
Bei der Auffahrt traf ich jedoch auf einen Mitfahrer aus Hamburg, der sein Rad schob. Da es den Berg hoch ging, hatte ich kein Problem damit, neben ihm zu fahren und mich ein wenig mit ihm zu unterhalten, was sehr interessant und auch motivierend war. Irgenwann ist auch er wieder aufs Rad und wir fuhren gemeinsam bis zur Passhöhe. Die Zeit verging irgendwie wie im Flug.
Bergab wollte er aber nicht mein Tempo fahren und so trennten wir uns wieder.
In Chiavenna (Italien) war der Parcours zu Ende – von dort musste man weiter nach Livigno zu CP1.
Also Maloja Pass, vorbei an St. Moritz, über den Bernina Pass und den Forcola di Livigno (die beiden letzten jeweils über 2000m).
Ich hatte mittlerweile massive Sitzbeschwerden und das rechte Knie schmerzte höllisch.
Der Malojapass war aufgrund des Verkehrs unangenehm zu befahren. Vielen Dank vor allem an die Wohnmobilfahrer mit ihren altersschwachen Karren, die eine Rußfahne hinter sich herzogen, dass alle nachfolgenden Autos ihre Scheinwerfer anmachen mussten.
Hoch zum Bernina Pass wurde es nochmal richtig kalt mit einem sehr unangenehmen Gegenwind, den Forcola di Livigno habe ich auf den letzten Metern gehend erklimmt, da ich einfach keine Kraft mehr hatte zum Fahren 🙁
Auf der anderen Seite musste ich nur noch durch den einsetzenden Regen nach Livigno runterrollen, um am CP1 anzukommen.
Dort angekommen, freute sich der „Chefkontrolleur“ über mein Erscheinen und meinte gleich darauf, dass er noch meinen Rückstrahler kontrollieren müsse. Stimmt. Da war ja noch was. Der Rückstrahler war noch irgendwo in meinem Gepäck. Er ließ sich aber nicht bremsen, ging hinaus und kam sofort freudestrahlend wieder zurück. Keine Ahnung, was ihn so erfreut hat, aber irgendwas an meinem Rad scheint er als Rückstrahler ausgemacht zu haben und damit war das Thema erledigt.

Ich war völlig KO und wollte nur noch ins Bett. Das gabs aber in dem Hotel nicht mehr, dafür eine Unterkunft im Spielzimmer der Gäste-Kids. Einfach ein Kellerraum mit Spielzeug. Dafür wollte der geschäftstüchtige Mann 40€ haben. Notsituation also klar ausgenutzt.
Es gab MitfahrerInnen, die dort – so wie ich – mitten in der Nacht ankamen und gleich weiter gefahren sind. Ich hatte ja schon den letzten Pass nicht mehr fahrend geschafft, also war an Weiterfahrt nicht mehr zu denken.

Vierter Tag

Ich war gestern als 67. oder so bei der Kontrollstelle, also lag ich eigentlich super in der Zeit. Dennoch konnte ich daraus am Morgen nicht wirklich Motivation schöpfen. Zu sehr plagten mich meine Schmerzen – vor allem im Knie.
Hoffnung machte mir ein Engländer, den ich im Frühstücksraum traf und der mir berichtete, er hätte ebenso Knieschmerzen gehabt und das dadurch in den Griff bekommen, dass er seinen Sattel nur ganz leicht nach unten gemacht hätte.
Neue Hoffnung keimte in mir auf und ich verstellte den Sattel ebenso.
Von Livigno wählte ich die Variante Passo di Foscagno (2291m) und Umbrailpass (2503m). Das Geklettere war anstrengend und nach dem Foscagno traf ich erneut auf Jakob, der die ganze Zeit zum Teil deutlich hinter mir lag. Wir sind ein Stück zusammen gefahren, wobei sich auch da schon bei Kleinigkeiten zeigte, dass wir einfach unterschiedliche Strecken geplant hatten. Bei der Auffahrt zum Umbrailpass/Stilfser Joch fuhr er dann mit einer schnelleren Gruppe von Rennradfahrern mit. Ich konnte das Tempo definitiv nicht mitgehen. Meinem Knie und meinem Hintern ging es jetzt etwas besser, dafür hatte ich furchtbare Nackenschmerzen. Ich konnte meinen Kopf kaum noch hoch halten. Richtig bemerkbar machte sich das, als es nach dem Umbrail nicht mehr bergauf, sondern bergab ging. Hinter einer Linkskurve bermerkte ich ein stehendes Fahrzeug zu spät und zog noch im letzten Moment an ihm vorbei, als ich sah, warum der da stand: ihm kam nämlich ein Auto entgegen, in das ich fast reingefahren wäre. Im Tal angekommen kam dann die ernüchternde Selbstdiagnose, dass ich Shermers Neck habe – ein Erschlaffen der Nackenmuskulatur.
Ich habe meine Schwester konsultiert, damit sie mal recherchiert, ob es dafür eine schnelle Linderung gibt, denn so konnte ich nicht weiterfahren. Wenn man auf dem Rennrad hockt und der Blick noch ungefähr einen Meter vor dem Vorderrad erfasst, ist das bei Geschwindigkeiten um die 30km/h zu wenig, um gefahrlos am Straßenverkehr teilzunehmen. Das merkte ich auch bei diversen Gefahrensituationen auf den nächsten Kilometern.
Nachdem die ernüchternde Nachricht kam, dass es eine schnelle Linderung oder Heilung nicht gibt, habe ich mich erst eine Stunde auf eine Bank gesetzt, dabei meine Tüte Gummibärchen verdrückt und dann für mich entschieden, dass ich dieses Risiko nicht eingehen will.

Aus der Traum vom TCR Finish nach vier Tagen und 1200 km.

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