Samstag, 04.10.14 – Reisetag

Samstag, 04.10.14 – Reisetag

Au weia, hab ich schlecht geschlafen. Vorteil, wenn man am vorletzten Tag erst packt ist ja, dass man sich nicht nächtelang Gedanken macht, was man alles vergessen haben könnte. Nachteil ist, dass dann die letzte Nacht umso intensiver nachgedacht wird, was alles nicht dabei ist.

Naja, egal. Um 8:50 Uhr soll der Flieger gehen und wir machen uns relativ zeitig auf den Weg. Da ich ja alles so schön in den Radkoffer bekommen habe, muss ich kein weiteres Gepäck aufgeben, sondern reise ansonsten mit Handgepäck.

Also am Automaten eingecheckt und die drei Bordkarten Frankfurt-London, London-SanFrancisco, SanFranciso-Kona bekommen. Danach zum Schwergepäckschalter, um das Rad einzuchecken. Es gibt nur zwei Schalter, einer davon von einer Frau belegt, die ihren Schoßköter (Typ: Kanalratte) partout nicht in den Frachtraum lassen will, sondern darauf besteht, dass er in der Kabine mitfliegt.
Ich bin beeindruckt, wie ruhig und gelassen der Lufthansa Angestellte bleibt, denn diese Prozedur kann ich etwa eine halbe Stunde lang mitverfolgen und sie ist auch nicht beendet, als ich mein Rad abgegeben habe.
Das hat aber eben zur Folge, dass es nur sehr schleppend voran geht, und mir ein wenig die Zeit bis zum Boarding schwindet.

Ich bekomme noch mit, wie die Reisenden vor mir (Übergepäck: Angeln) noch zu einem Counter geschickt werden, wo sie ihr Übergepäck zahlen dürfen. Sie müssen mit dem Beleg aber nicht wieder zurück kommen und ihn vorzeigen.
Meine restliche kriminelle Energie sagt mir, dass man ja mal ausprobieren könnte, einfach nicht zu zahlen, um zu gucken, was passiert. Denn auf den Seiten von United/Lufthansa steht, dass sie einem 200 Euro pro Strecke für ein Fahrrad abnehmen.

Als ich dann dran bin, bekomme ich zunächst mal zu sehen, wie die Frankfurter Gepäckmitarbeiter mit Sperrgepäck umgehen: „da werden wohl nur olle Bettlaken drin sein“ – und rumms! wird die Tasche auf den nächstgelegenen Wagen geworfen.

Dafür kommt von der Lufthansa Tante nicht ein einziges Wort zu irgendwelchen Über-/Sperr- oder sonstwelchen Kosten.
Ich verdrücke mich schnellstens, bevor sie es sich noch anders überlegt.

200 Euro gespart?

In der Schlange hinter mir entdecke ich dann noch einen weiteren Teilnehmer. Kommt aus Frankreich und ist entweder des englischen nicht mächtig, oder ich spreche ein grausiges Englisch. Jedenfalls entwickelt sich kein Gespräch.

Zum Flieger hin musste ich mich dann ganz schön beeilen.

In London angekommen, muss ich mich ebenfalls ganz schön beeilen, denn das Abfluggate ist weit weg. Eine Anzeigetafel schreibt irgendwas von 15 Minuten und ich denke mir, dass das jetzt aber ganz schön knapp wird.
Das Rad soll lt. der Tante in Frankfurt bis Kona durchgecheckt werden und ich hoffe, dass das dann auch so passiert.

Fünf Minuten später bin ich am richtigen Gate. Die Zeitangabe galt vermutlich für Rentner mit Rollatoren.

Im Flieger von London nach San Francisco ist auch kein Triathlongesocks auszumachen. Nur ist die Geruchsbelästigung nicht ohne: während von Frankfurt nach London ein kleiner Junge neben mir gesessen hat, der sich ständig mit seiner Schwester gekloppt hat und dessen Füße so gestunken haben, dass er offenbar längere Zeit nicht mehr seine Socken gewechselt hat, war es jetzt der Mundgeruch meines Sitznachbarn.

Alter Schwede, sowas muss man doch merken, wenn alle um einen herum in Ohnmacht fallen oder ganz grün im Gesicht werden?

Ich ärgere mich darüber, dass ich nicht so erfolgreich im Beruf bin, dass ich mir ein Businessclass Ticket leisten kann.

Der Flug zieht sich ewig hin, das Unterhaltungsprogramm (ich fliege mittlerweile mit United) ist ganz OK und der Service deutlich schlechter als bei Air Canada.

In San Francisco dann erstmal an den Jungs von der Homeland Security vorbei. Die Schlange bis zum Einreisebeamten meiner Wahl ist ca. 300m lang und ich bin der drittletzte in der Schlange, weil ich nach dem Aussteigen erstmal diverse Diet-Cokes wegbringen musste.
Als ich den Kerl hinter mir gelassen habe, komme ich an den Gepäckbändern vorbei und auch an einem Schild, das den Weg zum Sperrgepäck weist.
Ich weiß nicht so genau warum, aber ich beschließe, da einfach mal auf Verdacht vorbeizuschauen – schließlich habe ich hier fünf Stunden Aufenthalt und sowieso gerade nix zu tun.

Und siehe da: da steht eine Radtasche, die meiner zum Verwechseln ähnlich sieht. Und der Adressaufkleber ist sogar mit dem gleichen Namen beschriftet. Na so ein Zufall.
Auf dem Gepäck-Aufkleber steht zwar Kona als Reiseziel, aber scheinbar hat man sich gedacht, dass ich mir meinen Koffer hier bestimmt nochmal gerne angucken möchte.
Heilfroh, nochmal hier vorbeigekommen zu sein, nehme ich meinen Koffer mit und checke ihn erneut ein, ohne dafür was zahlen zu müssen (das war dann nämlich meine ganz große Befürchtung).

Nun habe ich fünf Stunden Zeit und suche mir eine Bank, die in etwa meine Länge hat und nicht an der Hauptverkehrsader liegt und mache erstmal
Als ich wieder aufwache (ich hatte mich in der Nähe des Abfluggates hingelegt), ist um mich herum ein buntes Treiben: Finishershirts, Rucksäcke und Mützen, gepaart mit Kompressionssocken in allen Farbschattierungen. Karneval in Rio?

Ein spontanes Fremdschämen keimt in mir auf und ich überlege kurz, ob ich meine Sportuhr ablegen soll, um auf keinen Fall mit diesen ultracoolen Typen in Verbindung gebracht zu werden.

Im Flieger dann ist deutsch (deutsch/schweizerisch/österreichisch) die vorherrschende Sprache. Finishershirts aus Kalmar, Lanzarote, Lake Placid, Frankfurt (alle natürlich 2014) werden zur Schau gestellt und allgemeines Fachgesimpel prägt die Stimmung.

Der Flug dauert nochmal ätzend lang und als wir endlich auf Kona landen, habe ich das Gefühl, auf dem Grand Canyon Flugplatz zu sein. Das ist nicht einmal mehr ein Provinzflughafen. Wenn hier nicht so große Maschinen landen würden, hätten sie vermutlich nichtmal eine asphaltierte Landebahn.

Vorteil ist natürlich, dass man sofort draußen ist. Die Maschine hatte knapp 40 Sitzreihen á 6 Personen, war – soweit ersichtlich – vermutlich komplett ausgebucht und von den Reisenden waren bestimmt 80% Triathleten.
Dementsprechend wurden auch viele Radkoffer abgeladen.
Meiner war zum Glück auch dabei und hat – zumindest äußerlich – keinen Schaden genommen. Dafür hat die Homeland Security vermutlich mal einen Blick reingeworfen, denn das Schloss, mit dem ich die beiden Reißverschlüsse zusammengehalten habe, war weg.

Mit dem Bus von der Autovermietung bin ich dann weiter und zu meiner großen Überraschung steigt auch die Frau mit ein, die im Gang neben mir gesessen hat, und die ich aufgrund ihrer äußeren Erscheinung für eine normale Touristin hielt. Sie hatte aber auch einen Radkoffer dabei.
Sie mag es ebensowenig, mit Finishershirt, Kappen oder Rucksäcken rumzulaufen – deshalb komplett inkognito unterwegs.

Wir unterhalten uns ein wenig und es stellt sich heraus, dass sie aus Birmingham kommt und über Frankfurt geflogen ist.
Verrückte Flugwelt: ich fliege von Frankfurt über London und sie von Birmingham über Frankfurt. Sie meinte, es hätte keine vernünftige Flugverbindung nach London gegeben.
Qualifiziert hat sie sich beim Ironman UK, was ihrer Aussage nach, zwar ein sehr schöner, aber auch sehr harter Ironman sein muss. Dieses Jahr wars OK, weil das Wetter mitgespielt hat.
Wir quasseln noch ein Weile in der Schlange beim Vermieter, dann trennen sich unsere Wege, denn ich hatte mich ein wenig vorgedrängelt und habe meinen Wagen früher bekommen.

Als Mietwagen habe ich einen Ford Mustang Cabrio bekommen, was ungemein praktisch ist, wenn man ein Fahrrad transportieren will. Nach einer viertel Stunde habe ich im Dunkeln endlich gemerkt, dass man noch eine Verdeckverriegelung öffnen muss, bevor man die elektrische Verdeckbetätigung nutzen kann. Danach war aber alles ganz easy. Radkoffer hinter die Sitze geschmissen und losgefahren.
Schwierig wurde es dann erst wieder, als es etwa fünf Kilometer später anfing zu regnen und dieser Regen spätestens dann nicht mehr ignoriert werden konnte, als er sich so Richtung tropischer Regenfall entwickelte. :rolleyes:

Also zwangsläufig angehalten, Beifahrersitz so weit nach vorne geschoben, dass der Radkoffer wenigstens so einigermaßen reinpasste und die Mütze wieder drüber gemacht, die jetzt zum Glück passte.

Zehn Minuten später war ich bei meiner Unterkunft. Meine Gastgeberin kam mir entgegen, nahm mich herzlich in den Arm und stellte mich erst einmal ihrer Familie und ihren Nachbarn vor, die alle noch beim BBQ saßen.
Die Einladung konnte ich ja schlecht ablehnen, und so saß ich mittendrin und wurde ausgiebig ausgequetscht. Die Hälfte der Anwesenden beschwor, mindestens einen deutschstämmigen Opa zu haben und um das noch unter Beweis zu stellen, wurde ich gleich genötigt mit ihnen mit Becks Bier anzustoßen.

Kann man das ablehnen? Wäre sowas nicht grob unfreundlich und verletzend?

Ich beschloss, das zarte Band der Freundschaft nicht gleich zu Anfang einer Belastungsprobe auszusetzen und trank bereitwillig jedes Bier, das mir vorgesetzt wurde. Auch die Nüsse mit Schokoladenummantelung konnte ich natürlich nicht ablehnen. Erst als mir schon ein wenig schlecht wurde, habe ich deren Konsum etwas reduziert.

Irgendwann war ich dann aber doch so müde, dass ich mich zurückgezogen habe. Im Kühlschrank lagen freundlicherweise noch zwei Bier, die ich natürlich auch gleich verkostet habe.

Ab morgen wird aber in Askese gelebt. Ehrlich.

3 Gedanken zu „Samstag, 04.10.14 – Reisetag

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